RE: Sufi-Mystik

#1 von Bruder Eberhard , 19.03.2015 18:44

"Was ist Sufismus? - Freude finden im Herzen, wenn die Zeit des Kummers kommt."

(Mevlana Dschalaladdin Rumi, mystischer Dichter und Gründer des Ordens der Mevlevi-Derwische, 1207-1273)


"Was auch immer gesagt werden könnte, ist kein Sufismus."

(Dr. Javad Nurbakhsh)


Obwohl ich mich jahrelang ziemlich stark in dieses Gebiet eingelesen habe, möchte ich mich zu diesem Thema an dieser Stelle nicht verzetteln. Nur das Allerwichtigste: Sufismus ist die höhere, bzw. innere Mystik des Islams und hat seine Anhänger - zumeist eher im Verborgenen - in allen Ländern, wo der Islam präsent ist, also von Marroko und Mali über Ägypten, Persien, Afghanistan und Indien bis Indonesien. Allerdings ist der Sufismus in vielen Ländern geächtet oder unter Androhung der Todesstrafe sogar strengstens verboten, vor allem in Saudi-Arabien. Viele normale Muslime nehmen den Sufismus als "sonderbare" und ketzerische "Sekten" wahr, andererseits aber auch als Gläubige, die einfach noch ein bisschen "frommer" und mehr mit dem Herzen dabei sind. Vielfach kritisiert wird die weitverbreitete Unterwerfung unter einen Sufi-Scheich (wie bei einem Guru).

Aus der Sicht der Sufi-Tradition war hingegen der erste Sufi bereits der Prophet Mohammed höchstselbst. Der Sufismus kennt Tausende verschiedene Traditionen, die teilweise komplett unterschiedlich und widersprüchlich erscheinen. Es gibt Tausende verschiedene Orden mit eigenen Einweihungs-, Lehr- und Übungssystemen. Daneben gab es auch immer schon einzelgängerische Sufis, die keinem Orden angehörten und oftmals echte Exzentriker waren, ganz im Stile von Tausendundeinernacht. Übrigens praktizieren nur die allerwenigsten Orden den berühmten Derwisch-Tanz (der immer gegen den Uhrzeigersinn erfolgt).

Trotz all der Unterschiede können die meisten Sufi-Strömungen aufgrund ihrer Praktiken und Exerzitien (u.a. "Mantra"-Übungen, Musik, Achtsamkeitsübungen, Atemübungen, Meditation, Kontemplation, Askese, Selbstverleugnung, hingebungsvolle Dichtkunst usw.) sowie die wegweisenden Grundaussagen des Sufismus' mit den mystischen und esoterischen Strömungen anderer Religionen verglichen werden, vor allem mit christlicher Mystik und mit dem Hinduismus, mit denen der Sufismus in vielerlei Hinsicht zuweilen als nahezu identisch erscheint.

Auffällig ist ausserdem, dass die meisten Sufis, zumindest die höheren Eingeweihten, von alters her eine aussergewöhnliche Welt- und Herzensoffenheit kultivieren. Es war schon im Mittelalter keine Seltenheit, dass Sufi-Scheichs ihrerseits jüdische Rabbis, katholische oder griechisch-orthodoxe Mönche, hinduistische Yogis, persische Zarathustra-Anhänger oder gläubige Heiden als gleichgesinnte Brüder im Geiste herzlich in ihre Arme schlossen. Dem grossen Rumi werden folgende Verse zugeschrieben:

"Kommt, kommt, wer auch immer ihr seid, kommt!
Ob Treuloser, Religiöser, Feueranbeter oder Heide, das ist nicht wichtig.
Unsere Karawane ist nicht die Karawane der Desillusion!
Unsere Karawane ist die Karawane der Hoffnung!
Kommt, auch wenn ihr eure Versprechen tausendmal habt gebrochen!
Kommt trotzdem, kommt!"


Die allerwichtigsten Sufi-Begriffe:

Dhikr = Mantra
Scheich = innerlich gefestigter Lehrer (Guru), stets aus einer angesehenen Lehrer-Schüler-Tradition
Sema ("Lauschen") = Derwischtanz
Tariqa = Orden
Tasbíh = Gebetskranz, meistens mit 99 Perlen (99 Namen Alláhs oder 3 mal 33 Dhikr)
Tekkia = weihevoller Versammlungsraum der Orden
Zikr, Zikir = andere Scheibweise von Dhikr = Mantra


Youtube quillt über mit ganz hervorragenden und sehr inspirierenden Beiträgen, Dokus und sonstigen Filmen über Sufismus aller Art, auf Englisch und Deutsch, manchmal wirklich esoterisch, zuweilen auch einfach nur gut gemachte Dhikr.

Um mal irgendwo anzufangen, würde ich folgende deutschsprachige Doku empfehlen, die ich mir mehrfach angeschaut habe. Sie zeigt das heutige Leben in der türkischen Stadt Konya in Anatolien, welche eines der mystischen Zentren und einer der Hauptwallfahrtsorte des Sufismus' ist. Dort befindet sich u.a. das geheiligte Mausoleum des grossen Mevlana (in Europa eher unter dem Namen Rumi bekannt). Die Doku gibt zwischendrin auch Einblicke in eine der zahlreichen kleineren Derwisch-Gruppen vor Ort. Man erlebt in dieser Doku eine faszinierende, andersartige und "verborgene" Türkei, die zumindest mir vorher unbekannt war:

https://www.youtube.com/watch?v=yA5_hJv-lRE

 
Bruder Eberhard
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