RE: Kaiser Julian Apostata

#1 von Bruder Eberhard , 04.12.2014 19:08

Über den letzten heidnischen Kaiser des römischen Reiches, plus Zitate.

(Gehört dieses Thema eher in das Unterforum "Historie & Archäologie"? Nun, Kaiser Julian "Apostata" war auch ein hochgebildeter Philosoph, wie sein Vorbild, nämlich der grosse stoizistische Philosophenkaiser Marcus Aurelius. Als Vertreter eines philosophischen Heidentums impliziert Julians Weltanschauung auch Ethik, Moral und Tugendlehre, welche ich bei meiner persönlichen Neuauslegung des an sich formbaren nordisch-germanischen Heidentums auf dasselbe zu übertragen versuche, so dass dieses Unterforum wohl schon richtig gewählt sein dürfte.)


Flavius Claudius Iulianus (bzw. ??????? ???????? ?????????) war der letzte Kaiser des gesamten West- und Oströmischen Reiches, der - entgegen dem vorherrschenden Trend und entgegen seinen eigenen bereits christlichen Vorgängern - nach seinem Regierungsantritt als Alleinherrscher sich plötzlich vom Christentum lossagte (obwohl er von Kindheit an christlich erzogen worden war!), sich zum heidnischen Glauben bekannte, sich in mehrere verschiedene heidnische Mysterienkulte einweihen sowie heidnische Tempel wieder eröffnen liess und deren Priesterschaften unterstützte. Es war Julians erklärtes Regierungsziel, die Hinwendung seiner Vorgänger zum Christentum mit vorrangig philosophischen Mitteln wieder rückgängig zu machen.

Julian, ein griechischer Muttersprachler, war in Konstantinopel, also in der byzantinischen Osthälfte des Reiches, im Jahre 331 geboren worden. Er war in seiner Jugend ein bekennender Bücherwurm und genoss eine hohe philosophische Ausbildung im Geiste des damals populären Neuplatonismus', der insgeheim äusserst starke Tendenzen zur Metaphysik, Mystik und zu einer bestimmten höheren Form von heidnischer Esoterik und höheren heidnischen Ritualen, der sogenannten Theurgie, aufweisen kann. Nichtsdestotrotz hatte der Neuplatonismus auch einen starken Einfluss auf die christliche sowie später auf die islamische Mystik. Und die heidnische Theurgie ist im Wesentlichen noch heutigentags unter dem Begriff Theosis eine der theologischen Kernlehren der byzantinisch-orthodoxen Ostchristen.

Julians Cousin, der christliche Kaiser Constantius II., ernannte ihn 355 zum Unterkaiser in den gallischen Provinzen, wo er im heutigen Paris stationiert war. 361 wurde Julian Alleinherrscher und bekannte sich urplötzlich zum Heidentum. Gleichwohl dermassen viel schriftliches Material über diesen umstrittenen Kaiser erhalten geblieben ist, wie kaum über einen anderen römischen Herrscher (so auch Briefe, Traktate, Erlasse), streiten sich die Gelehrten noch heute, wann, wo und durch welche Umstände es zu diesem Gesinnungswandel gekommen sein mag.

Kaiser Julians Bestrebungen führten dazu, dass er sogar ernsthaft plante, den jüdischen Tempel von Jerusalem wieder errichten lassen, nur um den damals bereits übermächtigen Christen eins auszuwischen (wobei die Christen auch untereinander heillos zerstritten waren und sich gegenseitig mit Gerichtsprozessen überzogen), wobei es jedoch nicht mehr zum Neubau des jüdischen Haupttempels kam.

Julians christliche Gegner ärgerten sich masslos darüber, dass er als Kaiser, der sich inzwischen einen Philosophenbart hatte wachsen lassen, so asketisch und bescheiden wie ein Mönch lebte, so dass sie ihm nicht einmal den Hauch eines Skandals anhängen konnten. Wäre da irgendetwas gewesen und sei es auch nur irgendein Gerücht am Hofe, dann hätten sich die christlichen Propagandisten, die in der Übermacht waren, hemmungslos draufgestürzt. Doch Julian war vielmehr als ein weltoffener, bekennender Philanthrop (Menschenfreund) bekannt, der die Toleranz förderte, und er konnte nahezu selbstschädigend selbstironisch sein, wie z.B. mit seinem öffentlichen Spottpamphlet "Der Barthasser" gegen sich selbst.

Im Hinblick auf seine geistigen "Lehrer", nämlich Platon, Plotin, Porphyrios und vor allem Jamblichos (wobei Julian wie alle spätantiken heidnischen Neuplatoniker auch sehr stark vom sogenannten "Chaldäischen Orakel" beeinflusst war, einer heidnisch-philosophisch-esoterischen Mysterienschrift, die in Wahrheit NICHTS mit den richtigen Chaldäern zu tun hatte und heute weitestgehend leider verschollen ist), sagte er:

"Sie alle wollten sich selbst erkennen und keinen blossen Meinungen folgen, sondern die Wahrheit im Sein aufspüren."

Das erinnert an die berühmte Giebelinschrift am heidnischen Tempel des Gottes Apollon zur griechischen Mysterienkultstätte von Delphi: "Gnothi seauton!" = "Erkenne dich selbst!" - eine der wahrscheinlich wichtigsten und bis heute unterschätztesten, grundlegenden Glaubens-, bzw. Einweihungsformeln.

Nach einer nur 20-monatigen Regierung fiel Kaiser Julian "Apostata", der offenbar auch innen- und wirtschaftspolitisch sehr erfolgreich war, bei einer militärischen Offensive gegen das Perserreich, von der sämtliche heidnische Omina zuvor dringend abgeraten hatten, am 26. Juni 363 am Tigris im heutigen Irak.

Damit endete die Hoffnung auf eine heidnische Renaissance im römischen Reich. Noch heute durchpflügen Historiker, Geisteswissenschaftler und sogar Theologen die zahlreichen schriftlichen Quellen über Kaiser Julian, um alle paar Jahre neue Erkenntnisse herauszudestillieren. Und um immer wieder die Frage aufzuwerfen, ob Julian die Welt- und Religionsgeschichte tatsächlich nachhaltig verändert hätte, wenn seine Herrschaft ein paar Jahrzehnte und nicht bloss knapp zwei Jahre gedauert hätte.


Was uns bleibt, sind seine philosophischen Hinterlassenschaften. Es ist gar nicht so einfach, aus Büchern sowie im Internet auf Deutsch übersetzte Auszüge seiner Traktate aufzustöbern, was übrigens auch bei den heidnischen Philosophen Porphyrios, Jamblichos oder Proklos ausserordentlich schwierig ist, da deren Werke bisher noch niemals gesamthaft auf Deutsch übersetzt worden sind. (Ich beherrsche weder Altgriechisch, noch Latein.)

Rekonstruierte Auszüge von Julians Schrift "Gegen die Galiläer", welche sich gegen das Christentum richtet und von den triumphierenden Christen später eigentlich vernichtet wurde, liegen mir vollständig vor. Daraus werde ich jedoch NICHT zitieren, da Julian darin vor allem mit hervorragenden Bibelkenntnissen brilliert, die er spitzfindig zerpflückt und ad absurdum führt. In der philosophischen Tiefe ist das meiner Meinung nach heutzutage nicht mehr nötig.

Interessanter sind deshalb Kaiser Julians Schriften, die sich in positiver Weise mit den philosophischen Grundlagen des Heidentums befassen. Er schrieb - wie gesagt - nach streng neuplatonisch-philosophischen Massstäben, und in diesem Geiste unter anderem auch über die Entstehung des intelligiblen Sonnengottes Helios aus der höchsten Seinsstufe des intelligiblen Kosmos'. Helios ist hier identisch mit dem spätrömischen Staatsgott Sol Invictus (der Gott der unbesiegten Sonne), dessen Geburtstag am 25. Dezember zelebriert wurde, was wiederum mit den Mithras-Mysterien zusammenhängt. Mit Helios/Sol ist selbstverständlich NICHT die physisch sichtbare Sonne am Himmel gemeint, was unter anderen Julian selber betonte.

Die folgenden Zitate Kaiser Julians stammen anscheinend alle aus seinem Traktat, welches "Sonnenhymnus" genannt wird, bzw. nach dem Titel auch "Auf den König Helios". Er sandte Abschriften davon an alle höheren Gelehrten des Hofes von Konstantinopel und an die Senatoren von Rom, welche bei den hinteren Abschnitten wohl ein bisschen überfordert gewesen sein dürften:

"Eine brennende Sehnsucht nach den Strahlen des Sonnengottes war mir von früh an eingeboren. Schon als kleines Kind richtete ich meine Aufmerksamkeit angestrengt auf das Himmelslicht und hörte nicht auf, unverwandt nach ihm zu schauen. Sooft ich nachts bei wolkenlosem, klaren Himmel nach draussen ging, liess ich alles andere stehen und starrte die Schönheit des Firmaments an. Ich hörte nicht, wenn jemand etwas zu mir sagte, noch merkte ich, was ich selbst tat. In dem Alter, wo mir der Bart zu spriessen begann, hielt man mich für einen Astrologen. Doch war mir, weiss Gott, bis dahin noch kein diesbezügliches Buch in die Hände geraten, und ich wusste nicht, um was es sich dabei überhaupt handelt."


Das Textverständnis der folgenden Zitate Julians wird erheblich erleichtert, wenn man zumindest mit der heidnischen Philosophie Plotins vertraut ist, bzw. mit der neuplatonischen Lehre der Hypostasenstufen:

"Dieser Kosmos also, ob man ihn füglich als das bezeichnen darf, 'was jenseits des Geistes ist', oder als die Idee des Seienden, was ich alles das Intelligible nenne, oder das Eine, da das Eine irgendwie das Ursprünglichste von allem zu sein scheint, oder als das, was Platon das Gute zu nennen pflegte, diese einheitliche Ursache des Ganzen also, die allem Sein Anteil gibt an Schönheit und Vollendung, an Einheit und unerschöpflicher Kraft - sie hat gemäss der in ihr ruhenden, ursächlich wirkenden Substanz die Mitte mitten aus ihren geistigen und schöpferischen Ursprüngen hervorgebracht, Helios, den grössten Gott, der aus sich heraus in allem mit sich identisch ist, wie auch der göttliche Platon glaubt, der bemerkt: 'Diesen meine ich, wie ich sagte, wenn ich vom Spross des Guten spreche, den das Gute analog zu sich gezeugt hat, wobei er sich in der sichtbaren Welt gegenüber dem Sehen und Gesehenen verhält wie das Gute in der intelligiblen Welt gegenüber dem Denken und dem Gedachten."

"Aus dem einen Gott von dem einen intelligiblen Kosmos ist der eine König Helios hervorgegangen, inmitten der intellektuellen Götter der mittlere in absoluter Mittelstellung, die in harmonischer Liebe die Gegensätze zusammenführt (Anmerkung: Gemeint sind die Polaritäten, nicht die Dualitäten!), Helios, der das Letzte mit dem Ersten zur Einigung bringt, der die Mitte der Vollkommenheit, der Bindung, des zeugenden Lebens und des eingestaltigen Seins in sich vereinigt, der der Urheber der verschiedenen Güter für den sichtbaren Kosmos ist, den er nicht nur mit seinem eigenen Lichtstrahl umfängt, schmückt und erleuchtet, sondern der auch dem Sein der Sonnenengel Substanz mit sich gibt, der den ungewordenen Grund der werdenden Dinge umschliesst und noch vor ihm den alterslosen und unveränderlichen Seinsgrund der ewigen Materie."


Wem sich bei der Lektüre dieser Zitate nur Fragezeichen auftun, kann getröstet sein: Es ist tatsächlich ziemlich schwere Kost. Aber vielleicht gibt das einen Einblick in die Möglichkeiten, womit man sich im Heidentum nebenbei AUCH beschäftigen kann...


P.S.: Mein jetztiger Forumsavatar zeigt eine Statue, von der die Archäologen und Historiker noch vor ein paar wenigen Jahren fest davon ausgingen, dass sie Kaiser Julian "Apostata" darstellen würde. Doch seit Allerneuestem wird das von der Forschung wieder angezweifelt, so dass von Julian offiziell nur Profildarstellungen auf Münzen erhalten geblieben sein sollen, während die besagte Statue einen unbekannten Priester des heidnischen Serapis-Kultes zeige. Falls dem tatsächlich so sein sollte, wäre das auch nicht schlimm...

 
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RE: Kaiser Julian Apostata

#2 von Kolag_Hraban , 06.12.2014 00:20

Vielen Dank das Du uns hier Julian den "Abtrünnigen" näher gebracht hast.

Den Beinamen "Apostata = Abtrünniger" hat er natürlich nicht von seinen Freunden bekommen, sondern von der christlichen Fraktion.
Ich kann noch nicht so viel dazu beitragen, da das Buch das mir über ihn die Tage gekauft habe, noch nicht gelesen habe.
Ein wenig kann ich aber ergänzen:
Ihm wird die Aussage zugeschrieben: „Ich habe gelesen, ich habe verstanden, ich habe verworfen!“
Dieser bezieht sich auf das Christentum, und ich leihe diesen gerne auch für mich aus

Auch wird darüber spekuliert, ob ihn als er bei einem Feldzug fiel, weniger der Zorn des Allmächtigen getroffen hat, sondern ein christlicher Speer aus den eigenen Reihen.
Das lässt sich aber nicht beweisen, und bleibt Spekulation.

Ich freue mich schon auf das Buch , um mehr zu erfahren,


Grüsse Kolag Hraban



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RE: Kaiser Julian Apostata

#3 von Bruder Eberhard , 06.12.2014 19:49

Besten Dank für Deine Ergänzungen!

Ja, ursprünglich hatte ich das bei mir hier im Text drinnen, dass Julian den Titel "Apostata" von seinen christlichen Gegnern verliehen bekommen hat, aber bei der Bearbeitung ist das dann irgendwie rausgeflogen und vergessen gegangen. Er ist halt unter dem Namen "Julian Apostata" bis heute am bekanntesten, deshalb habe ich das sogar in den Titel genommen. Eines Tages kann er ja meinetwegen umbenannt werden in "Kaiser Julian der Weise" oder so ähnlich.

Dass der Ausspruch "Ich habe gelesen, ich habe verstanden, ich habe verworfen!" von ihm stammen soll, wusste ich bisher nicht. Danke! - Eine sehr amüsante Abwandlung von Julius Caesars "Veni, vidi, vici!"

Ja, die Spekulation, dass Julian im Kampf hinterrücks von einem Christen ermordet worden sei, stammt glaube ich von dem heidnisch gesinnten Historiker Libanius. Ich habe das jetzt nicht mehr genau im Kopf, aber möglicherweise war Libanius als Zeuge selber vor Ort; vielleicht nicht direkt Augenzeuge, aber doch zumindest mit auf dem Feldzug und in der Nähe. Bin mir aber nicht mehr sicher.


Habe grad angefangen, wieder die Rekonstruktion der erhaltenen Fragmente von Julians Schrift "Gegen die Galiläer" zu lesen, ob sich etwas Brauchbares darin findet. Die Rekonstruktion dieser an sich verschollenen Schrift ist aus dem Grunde möglich, weil christliche Theologen noch Jahrzehnte später versuchten, sich zu Julians Argumenten zu rechtfertigen. So sind bei einem gewissen Cyrill (bin nicht sicher, ob damit der schlimme Bischof Kyrill von Alexandria gemeint ist) die bibelkenntnisreichen Argumente Julians gegen das Christentum indirekt enthalten, so dass man sie nur noch wieder umzudrehen braucht, um zumindest wesentliche Fragmente von Julians Orginaltext wieder zu erhalten.

Eigentlich dachte ich, die Gegenargumention stamme vom heiligen Augustinus von Hippo, aber anscheinend nicht. (Achtung, Augustinus ist übrigens philosophisch im Wesentlichen ebenfalls dem Neuplatonismus zuzurechnen und in vielen Punkten gar nicht so leidig, halt einfach kein heidnischer, sondern ein christlicher Neuplatoniker. Seine Schrift "Vom Wesen des Guten", in der er die Entstehung und die Dialektik des Bösen vor allem als ein "sich Abwenden" und "sich Entfremden" vom transzendenten absolut Guten erklärt, weicht im Prinzip keinen Millimeter von Plotin und von den anderen heidnischen Neuplatonikern ab.)

Jedenfalls taugt Julians Schrift "Gegen die Galiläer" am ehesten dazu, Bibelmissionaren aus evangelikalen und freikirchlichen Kreisen so richtig ins Schwitzen zu bringen, hehe. Aber christlich-theologische Schwergewichte wie der Fundamentalmystiker Meister Eckhart um 1300, der es selber auf scheinbar "paradoxe" Sätze brachte wie "O Gott, befreie mich von Gott", wären davon vermutlich kein bisschen beeindruckt gewesen. Möglicherweise hätten beim tieferen philosophischen Austausch sogar die geistigen Gemeinsamkeiten überwogen.

 
Bruder Eberhard
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