Hallo Zusammen
Der Bär begleitet mich seit meiner Kindheit, es ist erstaunlich, welch schlechten Ruf er heute hat, da der Bär doch so lange und in so vielen Kulturen verehrt wurde und weite Teile der Erde bevölkerte, stets in Harmonie mit den Menschen. Heute wird er meist mit der Flinte begrüsst, da der wilde Bär aus dem Bewusstsein unserer "Zivilisation" verschwunden ist. Ich dachte mir, ich eröffne diesen Thread, um zu erfahren, wie Ihr über den Bären denkt und ob Ihr vielleicht schon Erfahrungen mit Ihm gemacht habt. Vielleicht können wir den Bären ja gemeinsam in Europa wieder in die Wirklichkeit träumen.
Artio
Die im Jahr 1832 in Muri bei Bern gefundene, ca. 20 cm hohe Bronzeplastik, stellt eine sitzende Göttin mit Fruchtkorb dar. Vor ihr steht ein riesiger Bär, dem sie offenbar die Früchte anbietet.
Auf dem Sockel der Plastik steht die Inschrift: DEAE ARTIONI LICINIA SABINELLA, auf Deutsch übersetzt „Der Göttin Artio. Licina Sabinella (stiftete dies)“.
Dies zeigt wie eng die Beziehung unserer noch nicht romanisierten Vorfahren zu den Bären war. Im Zuge der Romanisierung wurde der alte Bärenkult der Helveter also nicht verboten, sondern adaptiert: die keltische Göttin Artio wird in der Interpretatio Romana der Diana gleichgesetzt.
Die Statuette von Bern zeigt den Bären zwischen einem Stammbaum mit offen entblösstem Eichel-Spitz und einer entspannt leicht zurück lehnenden Frau bei einem Blüten-Kelch, vermutlich mit Mispel-Blüten. Hier ist im Bären also eine Symbolik der Befruchtung vorhanden, während die Göttin Artio die Empfängis, die Fruchtbarkeit, darstellt. Sei es Artio, Artemis oder Diana - sie alle stehen für die Jagd, den Wald und haben mütterliche Aspekte: sie stehen für die Wandlung, für Neubeginne oder eben für das Gebären. Sie empfangen im Herbst und ziehen sich in die Dunkelheit zurück, um dann im Frühling neues Licht zu gebären.
Der Höhlenbär
In der Steinzeit lebte der riesige Höhlenbär in Europa. Es gab sie in der Schweiz nachweisbar vor allem in den hoch gelegenen Höhlen um den Säntis herum. Forscher haben nun anhand von Untersuchungen des gefundenen Knochenmaterials herausgefunden, dass in einer Höhle (ich weiss leider nichtmehr welche und wo) zur gleichen Zeit Höhlenbären und Neanderthaler gewohnt haben. Hierbei stellten einige die Vermutung auf, dass die Urmenschen höchstwahrscheinlich friedlich mit den Bären je unterschiedliche Teile der Höhle genutzt haben. Der Höhlenbär ernährte sich vollkommen vegetarisch, was also zu einem friedlichen Leben sicherlich beigesteuer hat.
Sitzt also vielleicht der Kern des weit verbreiteten Bärenkults in der Steinzeit?
Indianer
Viele Sagen der Indianer oder der slawischen Urvölker beinhalten Schöpfungsmythen in Zusammenhang mit Bären. Manchmal stammen die Menschen von den Bären ab und manchmal ist es umgekehrt. Hier möchte ich eine erzählen:
In einem Dorf lebte ein Junge, der sich nicht wie seine
Freunde benehmen wollte: er wusch sich nicht, ass nur Wurzeln
Beeren und streunte lieber durch die Wälder, als dass er Jagen ging.
So kam es, dass der Junge monatelang in den Wäldern war, bis er
eines Tages garnichtmehr heimging und sich mehr und mehr in den
ersten seiner Art - einen Bären - verwandelte. Eines Tages hörte
er in der Ferne die Hilfeschreie seiner Geschwister, derer Stimmen
er nicht vergessen hatte.
Er preschte wild aus dem Wald hervor und verscheuchte die
Wölfe, die seine ausgehungerten Verwandten angriffen.
Der Älteste erkannte den Jungen und sprach:
Ohwe! Wir leben in Elend, denn unsere Ernte ist ausgefallen,
und die Jagdgründe sind erschöpft.
Du jedoch lebst wohlbehütet und wild in der Natur - wir wollen es Dir gleich tun.
Und so lebte das Volk von nun an im Wald und verwandelte sich
wie der Junge zu Bären.
Viele Stämme assen auch deshalb normalerweise kein Bärenfleisch, sondern jagten rituell einen Bären und opferte Ihn dem grossen Geist, um dann die Kraft des Bären im rituellen Mahl aufzunehmen. Die Bären wurden als Verwandte angeshen, die man Ehren musste.
Es gibt auch Berichte von Indianern, die erzählen, dass die Frauen und Kinder am gleichen Ort wie die Bären Beeren sammelten, manchmal sogar am gleichen Strauch, solange man den Bären den Vortritt liess, gab es nie Probleme.
Hier sind noch ein paar schweizer Sagen zum Bären:
Der Berner Bär
Nach einer Legende soll der Stadtgründer Herzog
Berchtold V. von Zähringen die neue Stadt nach dem
ersten bei der Jagd im zukünftigen Stadtgebiet erlegten
Tier – einem Bären – benannt und den Bär als Wappen-
tier gewählt haben. Der Berner Chronist Conrad Justin-
ger hielt diese Legende erstmals 1415 in seiner Berner
Chronik fest. Im dem 1585/1586 von Humbert Mare-
schet geschaffenen Gemäldezyklus «Die Gründung und
Erbauung der Stadt Bern im Jahre 1191» wurde die
Legende von der Stadtgründung in acht Bildern darge-
stellt: Im ersten Bild betraut Herzog Berchtold Cuno
von Bubenberg mit der Erbauung einer
neuen Stadt; dieser befragt seine Jäger nach einem
günstigen Platz, und er wird auf die Aareschleife mit der
Burg Nydegg verwiesen. Das zweite Bild zeigt die Jagd,
die im dortigen Eichenwald veranstaltet wird – das erste
erlegte Tier soll der künftigen Stadt den Namen geben
und Wappentier werden. In den nächsten Bildern wird
der erlegte Bär im Triumph zurückgebracht und dem
Herzog von Zähringen vorgeführt, in den folgenden
Bildern der Wald gerodet und die Stadt erbaut. Der Ge-
mäldezyklus, der in der Burgerstube die dort empfange-
nen fremden Gesandten beeindrucken sollte, war ein
wichtiges Instrument für die Identitätsbildung
der Berner, die Totemfigur des Bären, der mitten
im erwählten Land geopfert und zu heraldischen
Würden erhoben wird, war dabei das zentrale Thema.
Seither steht der Bär als Wappentier der Berner für Ihre Wehrhaftigkeit und wird selbst heute noch fast kultisch verehrt. Wer einmal erlebt hat, wie die alten Frauen am Bärengraben mit "Ihren" Mutzen reden und sie trotz Verbot mit selbstgebackenen Honigplätzchen verwöhnen, merkt schnell, dass sie den Bären nicht als Tier sehen, sondern als einen der Ihren. Man könnte sogar sagen, dass die Berner fast schon menschgewordene Bären sind.
Hierzu gibt es noch eine lustige Sage aus Bern:
Es war Fasnacht und die ganze Stadt Bern war in den Gassen,
es wurde getrunken und gefeiert, gesungen und gelacht.
Selbst die Wärter am Bärengraben waren am Fest und so
gelang es einem Bären sich unbemerkt aus dem Graben zu stehlen.
Er mischte sich unter das Volk und feierte mit den brummigen Bernern.
Er frass und soff sich voll und fühlte sich wie unter seinesgleichen.
In der Dunkelheit bemerkte keiner, dass es sich nicht um einen
stämmigen, haarigen Berner, sondern um einen Bären handelte.
Der Bär schloss sich einer Gruppe Fasnächtler an und zog bis zum Morgengrauen
mit ihnen durch die Gassen. Als es jedoch hell wurde, bemerkten die Fasnächtler
plötzlich, dass unter Ihnen ja ein Bär ist!
Da sagte der eine: Ich hab mir schon gedacht, dass mit dem was nicht stimmt,
der war viel zu höflich!
St. Gallus und der Bär
Der irische Missionar Gallus machte es sich zur Lebensaufgabe,
die heidnischen Alemannen zu missionieren. So kam er an das Ufer
des Bodensees. Dort kamen er und seine Gefährten an ein
heidnisches Opferfest herangetreten, bei dem aus riesigen Fässern
dem Gott Woden Bier geopfert wurde. In eifrigem Glauben verschüttete er
(Schande über sein Haupt ) das Opferbier und zerstörte
die Götzenbilder der Heiden. Erstaunt durch solchen Mut wechselten
einige sofort den Glauben, die grossen Meute jedoch war empört
und erschlug einige Gefährten des Gallus. Gallus konnte fliehen und
begab sich nun auf die Suche nach einem Ort, wo er eine Klause erbauen wollte.
So kam es, dass Gallus stolperte und als die an seinem Wanderstab angebundenen
Reliquien den Boden berührten, sah er dies als ein Zeichen. Hier würde der Legende
nach später die Stadt St. Gallen entstehen.
Nun wird vom Bau dieser Klause folgendes berichtet:
Während sein Begleiter schlief, war Gallus noch wach, als plötzlich ein Bär auftauchte.
Gallus liess sich nicht einschüchtern, auch dann nicht, als der Bär sich aufrichtete.
Gallus befahl dem Bären im Namen des Herrn, ein Stück Holz ins Feuer zu werfen.
Der Bär gehorchte und trug das Holz zum Feuer. Anschliessend gab Gallus dem Bären
ein Brot, unter der Bedingung, dass er sich nie mehr blicken lasse. Hiltibod, der
mitgehört hatte, sagte zu Gallus: „Jetzt weiss ich, dass der Herr mit dir ist,
wenn selbst die Tiere des Waldes deinem Wort gehorchen.“
Der Bär tauchte nie wieder auf. Der Bär wurde später zum Wappentier der Stadt St. Gallen.
Der Bär ist auch Gallus’ wichtigstes Insignium, er wird fast immer mit einem Bären an seiner Seite dargestellt.
Hierbei stellt sich die Frage, ob der Bär in dieser Sage nicht sinnbildlich für den alten, heidnischen Glauben der heimischen Alemannen gedeutet werden kann. Hat denn nicht der Gallus den alten Glauben in Form des Bären geknechtet? Ich denke es ist kein Zufall, dass sich der Bär als Sinnbild für den alten Bärenkult auf der Darstellung des Gallus unterwürfig zu seinen Füssen befindet.
Krafttier Bär
Der Bär ist ein starkes Krafttier, dem die Indianer, wohl auch auf Grund seiner Kräuterkenntnisse, grosse Heilkunst beipflichten.
Artio hat auch einen schamanistischen Aspekt. Sie empfängt im Herbst und verbringt die Zeit des Winterschlafes gleichsam mit einer Reise in die Dunkelheit, in der das neue Leben in ihr heranwächst.
Im Frühling, mit der Wiederkehr des Lichts taucht auch die Bärenmutter mit dem neugeborenen Jungen aus der Dunkelheit wieder auf. Für viele steht Dunkelheit für Schlimmes und Licht für Gutes.
Wie angenehm können jedoch dunkle Winterabende sein, an denen man ganz bei sich sein kann. Wie unangenehm können hingegen grelle Sommertage sein, an denen man keinen Schatten findet. Artio lehrt , sich zurück zu ziehen und Dinge reifen zu lassen — in die geborgene und schützende Dunkelheit zu gehen bzw. in das Licht mit neuem Leben, neuen Ideen und Projekten zu treten — ganz je nachdem, was gerade passend ist.
Meine Erfahrungen mit dem Bären
Der Bär begleitet mich wie gesagt schon lange. Auch ich habe zur Geburt einen kleinen Teddybären geschenkt bekommen, der mich als Kind durch die Nächte begleitete, ist er doch auch noch heute, zwar kommerzialisiert und total verdreht, irgendwo in unserem Kollektivbewusstsein verankert.
Immer schon faszinierten mich die Bären, da Sie wohl die besten Kräuterkundler sind, die auf Erden wandeln. Ein Biologe aus den USA meinte, ein Bär könne dir mehr über Kräuter erzählen als 20 Botaniker.
Er kennt sich gut aus, so frisst er nach seinem Winterschlaf abführende Kräuter, um den "Kotpfropfen" auszuscheiden, der seinen Darmausgang über den Winter verschliesst. Anschliessend bedient er sich stoffwechselanregenden Kräutern, wie dem Bärlauch, und bringt seinen Körper auf Normalleistung. Dann wird gefressen was das Zeug hält: Wurzeln, Insekten, Kräuter und eine ganze Menge Beeren: eine Studie hat ergeben, dass wilde Bären in Amerika bis zu 200.000 Beeren pro Tag verschlingen können. Und dann im Herbst suchen Sie müde machende Wurzeln, um sich auf den Winterschlaf einzustimmen. Vielleicht haben ja unsere Ahnen dem Bären dort so einiges abgeschaut.
Mit meiner Familie scheint der Bär auch über einige Generationen her verbunden zu sein:
Der "Übername" meines Geschlechts, welches auch aus dem Ort stammt aus dem ich komme, ist "Röönibären". Er geht auf einen Ahnen zurück, welcher klein und stämmig war und behaart war wie ein Bär. Er war auch ein mürrischer Mensch, der brummelte und "röönte" wie ein Bär.
Ich könnte noch mehr über den Bären berichten, glaube aber dass es erstmal reicht, wollte mich eigentlich kürzer fassen .
Das war nun recht ausführlich. Ich hoffe ich langweile Euch nicht, mit solch langen Beiträgen. Ich schreibe sehr gerne und finde Forums nach wie vor eine Spitzensache, auch wenn sie langsam aus der Mode kommen.
Das Thema Berserker wäre sicher eines eigenen Threads würdig. Vielleicht kitzelts mich ja wiedermal in den Fingern
----------------------------------------------------------------------------------------
Welche Erfahrungen habt Ihr mit dem Bären gemacht?
Ich habe mal gelesen, dass der Urriese Ymir eine Bärengestalt gehabt haben soll, kann das jemand bestätigen?
Kennt Ihr noch andere Bärenkulte oder Geschichten, die mit dem Bären zu tun haben? Ich kenne leider noch keine aus dem nordischen Mythos.
----------------------------------------------------------------------------------------
Hier noch einige lesenswerte Links zu dem Thema:
http://www.portal.sites.be.ch/portal_sit..._dossier_de.pdf
http://www.keltoi.ch/Artio.html
https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A4renkult
https://de.wikipedia.org/wiki/Artemis
Wunderbares Buch rund um die Mystik der Bären:
http://www.cede.ch/de/books/?id=1032479