Geschätzte Freunde,
es gibt im heutigen Heidentum anscheinend die Streitfrage, ob es bei den alten Germanen und Wikingern jemals zwölf Hauptgottheiten gab. Ich bin von jeher ein Befürwörter dieser Theorie, weil die Indizien hierfür ziemlich stark wiegen. Abgesehen davon, dass die Zahl 12 in allen indoeuropäischen Kulturen eine entscheidende sakrale Rolle spielte, erscheint diese Zahl auch immer wieder in der Edda, z.B. bei den zwölf Unterweltsflüssen. In der Snorra-Edda wird diese Zahl ziemlich direkt auch auf die Asengötter bezogen, z.B. im Abschnitt über das Idafeld:
"Ihr erstes Werk war, einen Tempel zu bauen, in dem sich ihre Sitze befinden, Allvaters Hochsitz und zwölf andere Sitze." (Gylfaginning 14)
Es überrascht nicht, dass Allvaters Hochsitz wie in vielen anderen Mythen auch (z.B. bei König Arthurs Tafelrunde) der "gefährliche" dreizehnte ist, wobei ich seit langem vermute, dass hier wie auch anderswo in der Snorra-Edda bei genauerer Lektüre mit "Allvater" nicht Odhinn gemeint ist, sondern dass es sich hierbei um ein Kenningar für den Gott Fimbultyr oder Fimbulthul handelt.
Im Edda-Lied Grimnismal werden in zwölf Strophen die Asenschlösser aufgeführt, die mit zwölf Ordnungszahlen durchnumeriert sind. Hier zeigt es sich, wie undenkbar alt dieser Zwölfermythos im Zusammenhang mit den Göttern sein muss, weil in eddischen Zeiten die genaue Zuordnung nicht mehr bekannt war. So werden an zweiter Stelle in Wahrheit gleich zwei Schlösser in einer Strophe verpackt, nämlich Ullers Ydalir und Freyrs Alfheim. Doch es gibt noch ein weiteres Asenschloss, welches in jener Auflistung des Grimnismals gar keine Erwähnung findet, nämlich Friggs Fensalir, was dann insgesamt bereits 14 Asenschlösser wären.
Überhaupt kommt man in der Edda locker auf zwölf männliche Götter und sogar auf vierzehn weibliche. Mit etwas Murksen könnte man das also auf 24 Hauptgottheiten zurechtstutzen.
Sehr viel schwerer wiegt meiner Meinung nach das Indiz, wonach es im engverwandten antiken griechisch-römischen Heidentum exakt zwölf olympische Götter gab. Sechs davon sind männlich und sechs weiblich, wobei es sich dabei keinswegs immer um Ehepaare handelt:
Zeus (Juppiter)
Poseidon (Neptun)
Hera (Juno)
Demeter (Ceres)
Apollon (Apollo)
Artemis (Diana)
Athene (Minerva)
Ares (Mars)
Aphrodite (Venus)
Hermes (Merkur)
Hephaistos (Vulcanus)
Hestia (Vesta)
(Die römischen Götter entsprechen bei genauerer Analyse in ihrem Wesen nur ungefähr den griechischen, da sie oftmals einen völlig anderen Ursprung, Hintergrund, Charakter und Kult haben.)
Es erstaunt dabei (oder vielleicht auch nicht, da man sich auf die Zwölferzahl beschränken musste), dass viele weitere Gottheiten, deren Mythen und Kulte im griechisch-römischen Kulturkreis äusserst bekannt und beliebt waren, nicht dazugehören, wie z.B. Asklepios (Äskulap), Persephone (Proserpina), Helios (Sol Invictus), Dionysos (Bacchus), Pan (Faun), Hades (Pluto), um von den vielen bedeutenden Gottheiten der Mysterienkulte gar nicht zu sprechen, wie Hekate, Magna Mater oder Mithras. Seltsamerweise gehört wiederum Ares, der bei den antiken Hellenen fast überhaupt nicht kultisch verehrt wurde, sondern eher gemieden (im Gegensatz zum römischen Mars), zu den zwölf olympischen Göttern. Und was ist mit dem alt-italischen Saturn, der beim Ackerbau sehr beliebt war und meiner Meinung nach mehr schlecht als recht dem griechischen Titanen Kronos gleichgesetzt wird?
Anhand des griechisch-römischen Heidentums zeigt es sich also, dass es sich bei der Zwölferzahl der olympischen Götter lediglich um eine einst willkürlich festgelegte Anzahl der Hauptgottheiten handelt, während eine nahezu unüberschaubare Anzahl weiterer Gottheiten nicht dazugezählt wurde, wobei viele dieser "Nebengötter" bei den Verehrern individuell sehr wohl die Rolle von überragenden Hauptgottheiten einnehmen konnten, besonders bei den Eingeweihten von Mysterienkulten.
Die Theorie, wonach ursprünglich im nordisch-germanischen Pantheon einst allgemein 12 oder 24 Gottheiten als die Hauptgötter Asgards betrachtet worden seien, bedeutet also keineswegs, dass es sich hierbei um die 24 einzigen Götter handeln würde! Selbstverständlich ist die wirkliche Anzahl der Gottheiten sehr viel grösser!
In den hinduistischen Veden ist stets die Rede von 33'000'000 Göttern (33 Millionen)! Und Veda-Kenner versichern, dass es sich sogar dort lediglich um eine symbolische Zahl handelt, und dass die wahre Anzahl der Göttinnen und Götter im Bereich des Unendlichen liegt...
Wie denkt Ihr darüber?