RE: Zwölf Hauptgötter

#1 von Bruder Eberhard , 02.10.2016 19:18

Geschätzte Freunde,

es gibt im heutigen Heidentum anscheinend die Streitfrage, ob es bei den alten Germanen und Wikingern jemals zwölf Hauptgottheiten gab. Ich bin von jeher ein Befürwörter dieser Theorie, weil die Indizien hierfür ziemlich stark wiegen. Abgesehen davon, dass die Zahl 12 in allen indoeuropäischen Kulturen eine entscheidende sakrale Rolle spielte, erscheint diese Zahl auch immer wieder in der Edda, z.B. bei den zwölf Unterweltsflüssen. In der Snorra-Edda wird diese Zahl ziemlich direkt auch auf die Asengötter bezogen, z.B. im Abschnitt über das Idafeld:

"Ihr erstes Werk war, einen Tempel zu bauen, in dem sich ihre Sitze befinden, Allvaters Hochsitz und zwölf andere Sitze." (Gylfaginning 14)

Es überrascht nicht, dass Allvaters Hochsitz wie in vielen anderen Mythen auch (z.B. bei König Arthurs Tafelrunde) der "gefährliche" dreizehnte ist, wobei ich seit langem vermute, dass hier wie auch anderswo in der Snorra-Edda bei genauerer Lektüre mit "Allvater" nicht Odhinn gemeint ist, sondern dass es sich hierbei um ein Kenningar für den Gott Fimbultyr oder Fimbulthul handelt.

Im Edda-Lied Grimnismal werden in zwölf Strophen die Asenschlösser aufgeführt, die mit zwölf Ordnungszahlen durchnumeriert sind. Hier zeigt es sich, wie undenkbar alt dieser Zwölfermythos im Zusammenhang mit den Göttern sein muss, weil in eddischen Zeiten die genaue Zuordnung nicht mehr bekannt war. So werden an zweiter Stelle in Wahrheit gleich zwei Schlösser in einer Strophe verpackt, nämlich Ullers Ydalir und Freyrs Alfheim. Doch es gibt noch ein weiteres Asenschloss, welches in jener Auflistung des Grimnismals gar keine Erwähnung findet, nämlich Friggs Fensalir, was dann insgesamt bereits 14 Asenschlösser wären.

Überhaupt kommt man in der Edda locker auf zwölf männliche Götter und sogar auf vierzehn weibliche. Mit etwas Murksen könnte man das also auf 24 Hauptgottheiten zurechtstutzen.


Sehr viel schwerer wiegt meiner Meinung nach das Indiz, wonach es im engverwandten antiken griechisch-römischen Heidentum exakt zwölf olympische Götter gab. Sechs davon sind männlich und sechs weiblich, wobei es sich dabei keinswegs immer um Ehepaare handelt:

Zeus (Juppiter)
Poseidon (Neptun)
Hera (Juno)
Demeter (Ceres)
Apollon (Apollo)
Artemis (Diana)
Athene (Minerva)
Ares (Mars)
Aphrodite (Venus)
Hermes (Merkur)
Hephaistos (Vulcanus)
Hestia (Vesta)

(Die römischen Götter entsprechen bei genauerer Analyse in ihrem Wesen nur ungefähr den griechischen, da sie oftmals einen völlig anderen Ursprung, Hintergrund, Charakter und Kult haben.)

Es erstaunt dabei (oder vielleicht auch nicht, da man sich auf die Zwölferzahl beschränken musste), dass viele weitere Gottheiten, deren Mythen und Kulte im griechisch-römischen Kulturkreis äusserst bekannt und beliebt waren, nicht dazugehören, wie z.B. Asklepios (Äskulap), Persephone (Proserpina), Helios (Sol Invictus), Dionysos (Bacchus), Pan (Faun), Hades (Pluto), um von den vielen bedeutenden Gottheiten der Mysterienkulte gar nicht zu sprechen, wie Hekate, Magna Mater oder Mithras. Seltsamerweise gehört wiederum Ares, der bei den antiken Hellenen fast überhaupt nicht kultisch verehrt wurde, sondern eher gemieden (im Gegensatz zum römischen Mars), zu den zwölf olympischen Göttern. Und was ist mit dem alt-italischen Saturn, der beim Ackerbau sehr beliebt war und meiner Meinung nach mehr schlecht als recht dem griechischen Titanen Kronos gleichgesetzt wird?


Anhand des griechisch-römischen Heidentums zeigt es sich also, dass es sich bei der Zwölferzahl der olympischen Götter lediglich um eine einst willkürlich festgelegte Anzahl der Hauptgottheiten handelt, während eine nahezu unüberschaubare Anzahl weiterer Gottheiten nicht dazugezählt wurde, wobei viele dieser "Nebengötter" bei den Verehrern individuell sehr wohl die Rolle von überragenden Hauptgottheiten einnehmen konnten, besonders bei den Eingeweihten von Mysterienkulten.

Die Theorie, wonach ursprünglich im nordisch-germanischen Pantheon einst allgemein 12 oder 24 Gottheiten als die Hauptgötter Asgards betrachtet worden seien, bedeutet also keineswegs, dass es sich hierbei um die 24 einzigen Götter handeln würde! Selbstverständlich ist die wirkliche Anzahl der Gottheiten sehr viel grösser!

In den hinduistischen Veden ist stets die Rede von 33'000'000 Göttern (33 Millionen)! Und Veda-Kenner versichern, dass es sich sogar dort lediglich um eine symbolische Zahl handelt, und dass die wahre Anzahl der Göttinnen und Götter im Bereich des Unendlichen liegt...

Wie denkt Ihr darüber?

 
Bruder Eberhard
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RE: Zwölf Hauptgötter

#2 von Angelotheist , 04.10.2016 00:43

Servus zusammen!

Das ist ein sehr interessantes Thema!
Dass die Zahl der griechisch-römischen Hauptgötter, ebenso wie die der germanisch-nordischen auf 12 festgelegt worden ist, und die anderen damit sozusagen Götter zweiter Klasse oder niederen Ranges sind, davon habe ich schon gelesen. Bei den germanisch-nordischen Göttern soll nach dem Buch Ich sag Dir alles (erste Auflage von 1953; in den anderen sind die Götter jeweils nur alphabetisch geordnet) die Reihenfolge wie folgt sein:

Wodan (Odin)
Frija (Frigg, Frea)
Donar (Thor)
Tiu (Tiuz, Ziu, Zio, Tyr, Saxnot)
Balder (Baldur, Baldr)
Frey (Fro, Freyr)
Freyja (Freya, Freia)
Loki
Nörd (Njörd)
Ull (Ullr, Uller)
Höd (Hödur, Hodr)
Heimdall

Vergessen wird in diesem Nachschlagewerk zu erwähnen, dass Nörd und andere Götter Vanen sind.
Interessant ist, dass in beiden Götterfamilien die Gottheit der Unterwelt und der Toten nicht zu den 12 zählt!

Von einer Gruppen von 24 Hauptgöttern anstelle von 12, habe ich hier zum ersten Mal gelesen.

Dass die Zahl der vedischen Götter nicht nur 3.000.000, sondern 33.000.000, und das nur symbolisch, weil eigentlich sogar unendlich viele sein soll, das ist mir neu! Wieder was gelernt!

Grüße
Marcel


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RE: Zwölf Hauptgötter

#3 von Bruder Eberhard , 04.10.2016 17:27

Hallo Jehovah,

vielen herzlichen Dank für Deinen Beitrag und Deine Überlegungen!

Die von Dir aufgeführte Zusammenstellung der mutmasslichen ursprünglichen zwölf Hauptgottheiten des nordisch-gemanischen Pantheons ist sehr interessant. Es ist aber wirklich äusserst schwierig, eine halbwegs befriedigende Zwölferzahl zu finden. Und die Götter des griechisch-römischen Pantheons lassen sich nicht ohne weiteres übertragen. Ein Beispiel: Für unsere moderne Logik würde Zeus/Juppiter wohl am ehesten Wodan/Odhinn entsprechen, doch sprachlich und in ihrer ursprünglichen Funktion sind Zeus/Juppiter (beide!) am ehesten mit Ziu/Tyr verwandt. Aber die alten Römer stellten Juppiter in ihrer Interpretatio Romana dem Donar/Thor gleich (den sie zuweilen aber auch als Herakles/Herkules ansahen, welcher seinerseits im Mittelmeerraum ebenfalls als Gottheit kultisch verehrt wurde). Hingegen Wodan/Odhinn wurde von den Römern ihrem Merkur gleichgesetzt, dem geflügelten Götterboten und Schützer des Handels, der Reisenden und der Diebe. Da blieb für Ziu/Tyr nur noch Ares/Mars.

Aber womit will man den antiken Schmiedegott Hephaistos/Vulcanus, immerhin einer der zwölf olympischen Götter, gleichsetzen? Ursprünglich war im Norden offenbar Wieland der Schmied / Völundr / Wayland der entsprechende Schmiedegott, der möglicherweise sogar die gleichen indoeuropäischen Wurzeln wie Hephaistos innehatte. Doch in eddischen Zeiten galt Völundr schon allerlängst nicht mehr als kultisch verehrte Gottheit, sondern war nur noch als ein Held bekannt.


Bei einer willkürlichen Rekonstruktion der nordisch-germanischen Zwölferzahl müssten wir die Edda, vor allem die Snorra-Edda herbemühen. Dabei gelten die Vanen den Asen als gleichrangig. Wie Jehovah festgestellt hat, bleiben die Unterweltgottheiten wie Hel oder Ran nach dem Vorbild von Hades/Pluto aussen vor (auch wenn Frau Holle sehr nett sein mag). Loki wurde zwar nicht kultisch verehrt, sondern eher gemieden, aber damit steht er auf Augenhöhe mit dem hellenischen Ares, welcher dennoch einer der olympischen Zwölf war. Ausserdem schimmern bei Loki meiner Meinung nach auch schöpferische Eigenschaften durch, die ihn zum entfernten Verwandten des hinduistischen Shiva machen könnten.

Nach diesen Vorlagen hätten wir laut Snorra-Edda folgende männliche Götter, wobei ich mich oben geirrt habe, da es wie bei den Göttinnen ebenfalls vierzehn sind:

Odhinn
Thor
Njörd
Freyr
Tyr
Bragi
Heimdall
Balder
Hödur
Vidar
Vali
Uller
Forseti
Loki

Und folgende vierzehn Göttinnen, welche Snorri Sturluson praktischerweise mit Ordnungszahlen durchnumeriert hat:

1. Frigg
2. Saga
3. Eir (= "Hilfe", "Gnade"; Ärztin)
4. Gefjon (jungfräuliche Göttin)
5. Fulla (= "Fülle"; jungfräuliche Dienerin Friggs; südgermanisch als Volla bekannt!)
6. Freyja (= "Herrin")
7. Sjöfn (Liebeslenkerin)
8. Lofn (= "Erlaubnis", "Milde"; Liebeserlaubnisspenderin)
9. Var (= "Geliebte"; Liebesgelöbnishüterin)
10. Vör (wissbegierige Gewahrwerderin)
11. Syn (= "Zurückweisung"; Einsprucherheberin und Verteidigerin bei Anklagen)
12. Hlin (= "Schützerin"; schützt im Auftrag Friggs vor Gefahren)
13. Snotra (= "Kluge"; klug, tugendhaft, sittsam mit feinem Benehmen)
14. Gna (walkürenartig am Himmel reitende Dienerin Friggs)

Bei Saga, Sjöfn, Var, Vör, Hlin und Snotra soll es sich nur um untergeordnete Schutzgottheiten handeln, die eng mit Frigg verbunden sind, wie angeblich auch Eir.

Doch wo bleiben Thors Mutter Jörd und seine Gemahlin Sif, Bragis Gemahlin Idun, immerhin die Hüterin der goldenen Äpfel, sowie Balders Gemahlin Nanna, die Mutter Forsetis? Snorri Sturluson hätte zumindest bei letzterer eine einfache Erklärung gehabt: Nanna brach bei Balders Abdankung tot zusammen und wurde mit ihm verbrannt. (Dann müsste man aber auch Balder aus der Liste der männlichen Götter streichen, obwohl er einst zweifelsohne kultisch verehrt worden ist.) Es fehlen noch weitere eddische Göttinnen wie z.B. Njörds Gemahlin Skadi, die zwar von den Riesen stammt, aber ursprünglich mal sehr bedeutend gewesen sein könnte. Es hält sich bis heute hartnäckig die Vermutung, dass die von den antiken Griechen und Römern überlieferte Bezeichnung Skandinavien sich einst auf Skadi bezogen haben könnte. Wir kommen also auf allermindestens 19 verehrungswürdige eddische Göttinnen; mit Lokis treuer Gemahlin Sigyn, Freyrs Gemahlin Gerda, Sol, Bil, Hel und der Meeresgöttin Ran (die Gemahlin Ägirs) sogar auf 25! (Von wegen Frauenquote...) Die nordische Sonnengöttin Sol könnte einst sehr beliebt gewesen sein, wenn man auf die ausschweifenden Mythen ihrer in Litauen äusserst beliebten baltischen Entsprechung Saule blickt.

Und welche von den 14 männlichen eddischen Göttern (ohne Völundr und ohne Freyjas Gemahl Od) und 14 weiblichen Göttinnen (ohne Jörd, ohne Sif, ohne Idun, ohne Nanna, ohne Skadi, ohne Sigyn und ohne Gerd) würden uns erlauben, sie zu streichen, um die Liste auf 24 Haupthottheiten zurechtzustutzen? Und wäre es allenfalls sogar möglich, Paare zu bilden? (Freyjas Gemahl Od, der von der Forschung tatsächlich als unabhängig von Odhinn betrachtet wird, fällt ja bereits weg.) Amtliche Ehepaare sind:

Odhinn ? Frigg
Od ? Freyja
Thor ? Sif
Njörd ? Skadi
Freyr ? Gerda
Bragi ? Idun
Balder ? Nanna
Loki ? Sigyn

Gut zueinander passen würden theoretisch:

Forseti ? Syn ?

Die Gemahlinnen von Tyr, Heimdall (mit neun Müttern!), Hödur, Vidar, Vali und Uller bleiben unbekannt, ebenso die Gatten der Göttinnen Saga, Eir, Sjöfn, Lofn, Var, Vör, Hlin, Snotra und Gna. Jungfräulich bleiben Gefjon (laut Lokasenna allerdings nicht wirklich...), Fulla und vielleicht auch Hlin und Gna.


Werfen wir einen Blick auf die durchnumerierten zwölf Asenschlösser, die im eddischen Grimnismal aufgelistet werden:

1. Thrudheim (Thor)
2. Ydalir (Uller) und Alfheim (Freyr)
3. Valaskjalf (Vali?)
4. Sökkvabekk (Odhinn und Saga)
5. Gladsheim mit Valhall (Odhinn)
6. Thrymheim (Skadi)
7. Breidablik (Balder: er lebt also doch noch!)
8. Himinbjörg (Heimdall)
9. Folkwang (Freyja)
10. Glitnir (Forseti)
11. Noatun (Njörd)
12. Landvidi (Vidar)

An zweiter Stelle sind gleich zwei Schlösser aufgeführt, nämlich Ydalir und Alfheim. Und es fehlt in der Auflistung Fensalir (Frigg).

Die Übersetzungen würden es jedoch erlauben, schamanische Fantasy-Welten tolkienschen Ausmasses zu visualisieren, wobei es teilweise unverkennbar ist, dass es sich hierbei um feinstoffliche Örtlichkeiten auf der Astralebene handelt:

Thrudheim = "Kraftheim", Thrudvang = "Kraftfeld"; Saal: Bilskirnir = "Blitzschlag"
Ydalir = "Eibentäler"
Alfheim = "Elbenheim"
Valaskjalf = "Schelf der Erschlagenen"
mit Odhinns Hochsitz Hlidskjalf = "Schelf des Mitgefühls"
Sökkvabekk = "Sinkebach" (Wasserfälle?)
Gladsheim = "Frohheim"; Saal Valhall
Thrymheim = "Donnerheim", "Lärmheim"
Breidablik = "Weitglanz"
Himinbjörg = "Himmelsburg"
Folkvang = "Volksfeld"; Saal: Sessrumnir = "Raum mit vielen Sitzen"
Glitnir = "Strahlend"; manchmal auch Glastheim genannt
Noatun = "Schiffsstätte"
Landvidi = "Landweite"
Fensalir = "Sumpfsaal"

(Wer hat Lust, dies alles mitsamt allen anderen in der Edda genannten Dimensionen, Örtlichkeiten und Flüssen auf einer Schamanenkarte zu kartographieren?)

Doch was die Zwölferzahl betrifft: Rätsel über Rätsel...

 
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RE: Zwölf Hauptgötter

#4 von Angelotheist , 04.10.2016 22:30

Zitat von Bruder Eberhard
vielen herzlichen Dank für Deinen Beitrag und Deine Überlegungen!



Gerne, Bruder Eberhard!

Vielen Dank für Deine ausführlichen Ausführungen!


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