Die einst zahlreichen baltischen Stämme, von denen nur noch die Letten und Litauer übrig geblieben sind (die Esten sind mit den Finnen verwandt), sind als Indoeuropäer besonders eng mit den Kelten, Germanen und Slawen verwandt; ebenso auch deren Heidentum, das sich heutzutage wieder in voller Blüte befindet. Das ist kein Wunder, da sich das Heidentum im Baltikum teilweise noch bis in die Renaissance vor rund 500 Jahren halten konnte, ausserdem über einen starken folkloristischen Hintergrund verfügt und heute einen entsprechend grossen Rückhalt aus der Bevölkerung geniesst.
Die neuzeitliche heidnische Bewegung von Lettland heisst Dievturiba, das Heidentum an sich Dievturi. Die Bewegung wurde 1925 gegründet und 1990 nach dem Austritt aus der Sowjetunion wiederbelebt. Ihr sollen 8000 Mitglieder angehören!
Die heidnische Bewegung Litauens, die Romuva genannt wird, wurde 1967 gegründet, jedoch von den Sowjets unterdrückt und erst ab 1988 toleriert. (Nebenbei: Litauisch ist diejenige Sprache, welche die meisten Gemeinsamkeiten mit allen anderen indoeuropäischen Sprachen in sich vereint, von den germanischen Sprachen wie Deutsch oder Norwegisch, über die keltischen Sprachen wie Gälisch oder Bretonisch, die slawischen Sprachen wie Russisch oder Tschechisch, die lateinischen Sprachen wie Spanisch oder Französisch bis hin zu Griechisch und dem altindischen Sanskrit!)
Im baltischen Heidentum, welches besonders ehrfürchtig mit der Natur verbunden ist, spielen selbstverständlich Naturheiligtümer, die mit Blumenkränzen geschmückt werden, heilige Wälder, Wiesen, Felder, Hügel und Flüsse eine entscheidende Rolle, ausserdem der Ahnenkult, uralte folkloristische Gesänge und Verse (sogenannte Dainas) sowie Götteranrufungen an den Jahresfesten, von denen die Sonnenwenden besonders wichtig sind. Es sind zahlreiche Mythen und Bräuche überliefert, an den Wegrändern stehen oftmals heidnische Schreine und Pfähle. Um 1300 wird über die baltischen Altpreussen (Prussai), welche vom Deutschen Ritterorden ausgerottet worden sind (wobei sich in Ostpreussen einzelne Sprachrelikte noch bis ins 18. und 19. Jahrhundert hielten) gesagt: "Sie hatten auch Wälder, Felder und Gewässer, die sie so heilig hielten, dass sie in ihnen weder Holz zu hauen noch Äcker zu bestellen oder zu fischen wagten."
Angeblich soll es im Mittelalter und schon zuvor einen allerhöchsten heidnischen Priester gegeben haben, der allen baltischen Stämmen (so verschieden sie damals schon waren) vorgestanden, den Titel Crive oder Kriwe getragen und in einem heiligen Eichenwald an einem heute unbekannten Ort namens Romowe bei den Altpreussen gelebt haben soll, wobei dies alles in der Geschichtsforschung umstritten ist. Ansonsten hiessen die heidnischen Priester Vurschayten.
Die allerwichtigsten Götter:
(wobei noch sehr viel mehr bekannt sind, inklusive Mythen)
Dievs (lettisch), Dievas (litauisch), Deywis, Deiws (altpreussisch) = Himmelsgott
Saule (lett., lit., altpr.) = Sonnengöttin
P?rkons (lett.), Perk?nas (lit.), Percunis (altpr.), manchmal auch Perkunos = Donnergott, sehr beliebt
Žemyna (lett., lit., Aussprache: "schemiina") oder zärtlicher Žemyn?l?, Semine (altpr.) = Erdgöttin
Laima (lett., altpr.), Laim? (lit.) = Schicksalsgöttin
Dievs/Dievas ist eindeutig mit dem indischen Dyaus, dem gallischen Dispater, dem germanischen Ziu/Tiwaz, dem nordischen Tyr, dem griechischen Zeus und dem lateinischen Begriff Deus verwandt. Von den altpreussischen Göttern werden in der Forschung nur Curche (Fruchtbarkeitsgott), Parkuns (Donnergott), Patollos (Totengott), Natrimpe und Potrimpos (Gott der Fliessgewässer) anerkannt, wobei auch etliche andere überlieferte Gottheiten echt zu sein scheinen, wie Puschkayts (Erdgott unter dem heiligen Holunderstrauch), wenn man zum Vergleich an die Aussagen von Wolf-Dieter Storl denkt.
In einem Buch entdecke ich grad noch zu den baltischen Gottheiten, auch noch zu ganz anderen, die ich nicht erwähnt habe, aber ebenfalls ausserordentlich wichtig und faszinierend sind, dermassen viele Mythen, die ich hier nicht mal ansatzweise darlegen kann. Als kleines Beispiel mag die Sonnengöttin Saule dienen, auch bekannt als Saule Motul, Mutter Sonne, die mit ihren Töchtern in einer Burg jenseits des Himmelshügels Dausos residiert, in einem Wagen mit kupfernen Rädern, der von Falben gezogen wird, über den Himmelsberg fährt und abends ihre Pferde im Meer reinigt. Die Sonne selbst ist eine Kanne oder ein Löffel, aus dem Licht ausgeschüttet wird. Saules Fest ist die Wintersonnenwende und heisst Kaledos, an der ihre Bilder in Flurumzügen geführt werden; aber auch die Sommersonnenwende, Ligo, steht mit Saule in Verbindung. Bei den Letten heisst es überdies im Volksmund, Saule throne auf der Spitze eines Sonnenbaumes mit goldenen Blättern, vorrangig einer Birke, die im Meer oder hinter einem Berg stehe. Wird ein runder Gegenstand, z.B. ein Apfel, eine Erbse oder ein Kiesel über den Baum geworfen, dann erklingt dieser leise. Saule steht auch in Verbindung mit dem Wachstum der Kornfelder und dem Ährengott Jumis. Alles weitere, z.B. dass Saule häufig wegen ihrer verregneten Laken und aus anderen Gründen weint, würde an dieser Stelle ins Uferlose führen...
Ahnengeister heissen V?l?s (litauisch) oder Ve?i (lettisch), welche noch mit der Sippe in Verbindung stehen können, während die Siela, der unsterbliche Teil der Seele, von den Hügeln zu den Himmelsgefilden aufsteigen oder in Pflanzen, vor allem in Bäumen, wiedergeboren werden können. Lauma (lett.) oder Laum? (lit.) sind weibliche Feenwesen. Kaukas (lit.), Cawx oder Barstukken (altpreussisch) sind Erdgeister, Trolle und Kobolde, mit Ragana werden Hexen bezeichnet. Daneben gab es einen Schlangenkult, wobei diese Tiere als glückbringend galten und mit der Sonnengöttin Saule in Verbindung stehen.
Wozu zu den heutigen Asatruar von Island schielen, wenn bei den heidnischen Romuva in Litauen so etwas, wie bei den folgenden Filmaufnahmen, abgeht?
Aus dem Jahre 2010, mehr als nur beeindruckend, vor allem auch die Gesänge oder die Zitherklänge:
https://www.youtube.com/watch?v=noR1PskjYaQ
Oder das hier aus dem Jahre 2012; da möchte man doch glatt nach Litauen, unglaublich:
https://www.youtube.com/watch?v=vFYuQF4kUrM
Eine heidnische Romuva-Hochzeit:
https://www.youtube.com/watch?v=pjVNO2slLDU
Und zum Vergleich noch ein kleiner Blick zum lettischen Dievturi; ein bisschen beschaulicher:
https://www.youtube.com/watch?v=1dxOceJMU6w