RE: Heidentum vs. Monotheismus

#1 von Kolag_Hraban , 16.07.2017 00:45

Salü zusammen,

Ich möchte versuchen einen meiner Gedanke hier mit euch zu teilen.
Was ist der ursprüngliche Unterscheid zwischen Heidentum und dem Christentum ja vielleicht auch dem Monotheismus generell.

Neulich bin ich über einen Artikel eines Humanisten gestolpert. Dort wurde unter der Überschrift "Heilung statt Erlösung" der humanistische Standpunkt zur Christlichen Religion dargelegt.
Ich kann dieser Überschrift sehr viel gewinnendes abgewinnen.
ich würde es nur ein wenig verändern , und sagen

"Versöhnung statt Erlösung"
Das drückt meinen Standpunkt zum Unterschied zwischen Heidentum und Christentum effektiv aus.

Was sind Erlösungsreligionen ?
Das sind Religionen die in der Religionswissenschaften die Erlösung ihr jeweiliges letztgültiges Ziel bezeichnen, den einzelnen Menschen, die Menschheit und/oder die Welt von allem Negativen zu befreien.
Der Mensch ist fehlerhaft erschaffen, und sogar mit einer Erbsünde geboren, so das er der Sündhaftigkeit gar nicht entgehen kann, was auch immer er tut.
Er bedarf also immer Vergebung und letzlich Erlösung, da der Fehler schon eingebaut ist, vom allmächtigen Schöpfer.

Die Versöhnung meint dagegen ein ganz anderes Menschenbild.
Zunächst meine ich damit die Versöhnung mit sich selbst. Ich bin so wie mein Schöpfer mich erschaffen und gewollt hat. Alles an mir hat eine Aufgabe und einen Sinn, und ist zunächst nicht schlecht.
Es gibt in diesem Sinn keine Sünde, die schon mit meiner Geburt mit auf die Welt kommt.
Aber Versöhnung meint auch - Versöhnung mit der Umwelt. Wir sind Teil eines ganzen - nicht mehr aber auch nicht weniger. Wir gehören zu ihm und stehen nicht über ihm. Die Menschheit hat sich von ihrem Ursprung entfremdet und glaubt sie dominieren zu dürfen. Versöhnung meint hier das richtige Maass zu finden und sich in der Umwelt auf einem gesunden Mass einzufinden, sich zu versöhnen.

Versöhnung statt Erlösung - ein Wort Satz der es m.E. voll auf den Punkt bringt .


Grüsse Kolag Hraban



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RE: Heidentum vs. Monotheismus

#2 von jensen , 16.07.2017 11:51

Sehr gut, kurz, aber präzise und ich schliesse mich dir an.

Ich möchte aber die Eigenverantwortung, den eigenen Aktionsradius mit hinein nehmen. Leider wird es so komplexer und der "kurze Kernsatz" verliert sich in (vor allem menschlicher) Struktur.
Wenn wir die Religionskriege, egal welche anschauen, so haben "die oberen" mit der Verbindung zu dem jeweiligen Göttlichen die Menschenmassen gelenkt. Sie sprachen, die anderen taten - aus Überzeugung, Glauben, sicher auch aus Hörigkeit (denke da an das Milgram-Experiment).
Hier würde ich mir mehr individuelle Freiheiten, eigene Gedanken, Reflexionen wünschen, sprich Menschen, die Ihren Weg zum Göttliche finden. Wir wissen durch "unsere Erfahrungsreligion" dass dieser Weg uns manchmal auch All-ein lässt.
Hier die Absicht nach Versöhnung statt Erlösung zu haben, ist meines Erachtens eine respektable Haltung in und zu dem Wirken des Göttlichen.

Es hat auch etwas mit Integrieren zu tun. Ich sagte mir einmal in schwerer Zeit "Ich lebe mein Wyrd in Würde"...

Soviel zu meinen "kurzen" angeregten Gedanken.


Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.

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RE: Heidentum vs. Monotheismus

#3 von Bruder Eberhard , 16.07.2017 15:45

Das sehe ich nun doch wieder einmal etwas anders...

Das liegt nicht zuletzt daran, weil ich frühester Kindheit an - völlig unabhängig von meinem familiären Umfeld - mit einem ganz stark mittelalterlichen hierarchisch-feudalistischen Weltbild aufgewachsen bin, das ich zutiefst verinnerlicht habe. Während meiner Jugend hat sich durch meine Beschäftigung mit heidnischer Esoterik und Okkultismus meine streng hierarchische Auffassung des Kosmos' immer weiter verschärft und spirituell vertieft. Dabei geht es letztlich um die INNEREN Hierarchien innerhalb der Seele.

Der innere hierarchische Konflikt dreht sich eigentlich um den platonischen Dualismus zwischen "das Gute" auf der einen Seite sowie "das Angenehme" auf der anderen Seite, wobei Platon für das Letztere nur Verachtung übrig hatte. Beim letzten grossen heidnischen Philosophen und esoterischen Theurgen Proklos wird dieser Konflikt mathematisch vereinfacht auf die Unterscheidung zwischen "das Gute" und "etwas Gutes". "Etwas Gutes" ist dabei fast schon "das Böse".

Da "etwas Gutes" sich innerlich vom "Guten" entfernt und entfremdet hat, identifiziert es sich einseitig mit der relativen Realität, also mit dem Räumlich-Zeitlich-Vergänglichen sowie mit der Materie.


Durch diese esoterische Sichtweise kann das Heidentum ganz klar auch die Form einer Erlösungsreligion annehmen, bei der es darum geht, von der einseitigen Hinwendung der niederen seelischen Stufen hin zum Vergänglichen erlöst zu werden, da alle Menschen und Wesen auf der innersten und verborgensten hierarchischen Ebene unbewusst ewigen Anteil an der absoluten Realität und damit an der höchsten Glückseligkeit haben.

Auch die antiken Mysterienkulte wie die eleusinischen Mysterien der Göttin Demeter und ihrer Tochter Kore oder die Mithras-Mysterien haben ganz klar die Erlösung durch initiatische Riten zum Ziel.

Durch die Initiation und durch theurgische sowie kontemplative Praktiken kann das Heidentum jedoch nicht nur eine Erlösungsreligion sein, sondern zugleich auch eine Erfahrungsreligion. Durch die initiatische oder kontemplative Befreiung von der Zeit liegt die zugrundeliegende Erfahrung jedoch niemals in der Vergangenheit (da es eigentlich gar keine Vergangenheit und auch keine Zukunft gibt), sondern ausschliesslich in der Gegenwart.

Was ich hier schreibe, ist also nicht bloss Theorie, sondern vor allem gelebte Praxis.


Strittig war bei vielen heidnischen Philosophen lediglich der Punkt, ob man ausschliesslich durch die Hilfe der Götter erlöst werden könne, indem die Seele sich darum bemüht, mittels theurgischer Praktiken zu den Hypostasenstufen der Götter empor gehoben zu werden, oder ob man aus eigener Kraft sowie durch einen konsequent philosophischen Lebensstil sich selbst erlösen könne, wie das von Plotin mit seiner Abneigung gegenüber allem, was aufteilbar oder vergänglich ist, gelehrt wurde:

"Sich zum Besseren zu wenden,
dazu hat jeder aus sich selbst die Macht;
aber schlechter zu werden,
daran wird keiner gehindert."

Ich selber glaube: sowohl als auch. (Jedoch bringen beide Wege, sprich die Erlösung mit Hilfe heidnischer Götter als auch die Selbsterlösung, die Christen auf die Palme.)


Und selbstverständlich sind auf beiden Wegen das vom geschätzten Kolag_Hraban vorgebrachte Stichwort "Versöhnung" - und ja, zunächst einmal die kontemplative Versöhnung mit sich selbst, aber auch mit der Welt - sowie das vom ebenso geschätzten Jensen vorgebrachte Stichwort "Verantwortung" miteinbezogen.

Die christliche Idee einer "Erbsünde" ist mir völlig fremd. Der Schöpfer baut keine Fehler ein. Die Fehler tauchen erst durch die einseitige individuelle Identifikation durch den freien Willen mit dem Räumlich-Zeitlichen auf, was im vedischen Hinduismus mit dem Sanskrit-Begriff "Maya" bezeichnet wird.

 
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RE: Heidentum vs. Monotheismus

#4 von Bruder Eberhard , 19.07.2017 20:20

Wobei ich meine obige Darlegung erheblich abgekürzt habe. Letztlich geht es um die ontologische Unterscheidung zwischen dem Sein und dem Seienden. Das Seiende bildet die Ursache für die Seinsstufen (Hypostasen) und damit der Hierarchien.

Ich habe ebenfalls nur angedeutet, welche Bedeutung die Initiation bei Mysterienkulten hat, welche - sorgsam vorbereitet und durchgeführt - bei Eingeweihten eine bleibende tiefgreifende Erschütterung und Wesenswandlung zur Folge hat. (In der Hermetik wird eine solche tiefgreifende Wesenswandlung als Transmutation bezeichnet.)


Um nur das bekannsteste Beispiel zu nennen: Während allermindestens tausend Jahre wurden die Mysterien der Göttin Demeter und Kore in Eleusis durchgeführt, bei denen jedes Jahr bis zu 3000 Menschen teilnahmen (darunter etliche römische Kaiser!). Alle, die in Eleusis initiiert worden waren, mussten ein Schweigegelübde ablegen, dass sie niemals Einzelheiten und schon gar nicht das eigentliche "Erleuchtungsmoment" des Einweihungsrituals verraten würden. Die Eingeweihten waren nämlich unwiderruflich bis an ihr Lebensende wie ausgewechselt; u.a. war bei ALLEN die Angst vor dem Tod vollständig verschwunden! Und tatsächlich verriet kein einziger jemals, was während der Initiation der Grund für diese Erleuchtung und innere Umkehr gewesen war.

(Man durfte lediglich berichten, dass man an den Mysterien überhaupt teilgenommen hat sowie jene Einzelheiten, die öffentlich und allgemein bekannt waren. Und man durfte auch in mehreren komplett verschiedenen Mysterienkulten sich einweihen lassen.)


Platon soll ein Eingeweihter von Eleusis gewesen sein. Da auch er die inneren Geheimnisse nicht verriet, konstruierte er seine ganze Philosophie (die einige Übereinstimmungen mit vorangegangenen metaphysischen und esoterischen Philosophen wie Pythagoras oder Parmenides aufwies) um das Erleuchtungserlebnis drumherum, so dass bei ihm am Schluss alles dennoch auf die Unsterblichkeit der Seele, auf die göttlichen grundlegenden Urmuster, sozusagen "Blaupausen" aller Dinge und aller Wesenheiten (die sogenannten "Ideen"), sowie auf die transzendentalen Urprinzipien das Gute, das Wahre und das Schöne abzielt. (Wobei "das Gute" eben NICHT "etwas Gutes" ist und erst recht nicht "das Angenehme"!)

Laut esoterischen Quellen soll Platon überdies auch in Ägypten in gewisse Mysterien eingeweiht worden sein. Dort soll ihm als Initiierter der Übername "Platon" überhaupt erst verliehen worden sein. (Damit wäre der Name "Platon" ägyptischen Ursprungs, nicht griechisch, wie es noch heute überall heisst.)


Fazit:

Es macht einen entscheidenen Unterschied, ob man nur ein "normaler" Heide ist, der das Heidentum nur ein bisschen als Volksreligion praktiziert und so nebenbei den Göttern huldigt, oder ob man mit dem normalen menschlichen Dasein abgeschlossen hat und eher versucht, die hierarchisch höheren seelischen Seinsstufen zu aktivieren. Damit wären wir wieder bei der bereits an anderer Stelle vorgebrachten fundamentalen hierarchischen Unterscheidung zwischen Exoterik und Esoterik, welche theologisch bei ausnahmslos ALLEN Religionen gemacht werden kann.

Um die Fragestellung dieses Themas abschliessend auf den Punkt zu bringen, kann man - wie bei allen anderen Religionen auch - je nach hierarchischer Seinsstufe zwei unterschiedliche Formeln festhalten, die scheinbar im Widerspruch zueinander stehen:

1. Exoterisches Heidentum ist KEINE Erlösungsreligion, nicht einmal ansatzweise.

2. Esoterisches Heidentum hingegen ist eine reine Erlösungsreligion, durch und durch.



Hoffentlich liege ich mit meiner theologischen Analyse nicht zu weit daneben...

 
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